1.Normativer Rahmen: Nicht verhandelbare Grundrechte der „Zellen“
Der Superorganismus Menschheit ist kein abstraktes Kollektiv, sondern eine Menge von einzelnen Menschen, die jeweils ein eigenes Bewusstsein, eigene Bedürfnisse und eigene Rechte haben. Wenn dieses Handbuch von „Zellen“ spricht, meint es immer reale Menschen – nicht anonyme Produktionsfaktoren oder bloße Kostenstellen.
Als normativer Ausgangspunkt dienen die bereits existierenden Menschenrechtsdokumente der Vereinten Nationen: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 und die beiden Menschenrechtspakte, insbesondere der internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) von 1966.[19][20] Sie formulieren Rechte auf Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit, Meinungsfreiheit, politische Teilhabe sowie Rechte auf Arbeit, Gesundheit, Bildung und einen angemessenen Lebensstandard.[19][20]
In diesem Handbuch werden diese Rechte nicht neu erfunden, sondern als Funktionsbedingungen des Superorganismus interpretiert: Ein System, das große Teile seiner Zellen systematisch ihrer Grundrechte beraubt, ist nicht nur moralisch problematisch, sondern auch strukturell instabil. Es erzeugt dauerhafte Spannungen, Krisenanfälligkeit und die Gefahr gewaltsamer Konflikte.
Wesentlich ist zudem eine Erweiterung, die in den letzten Jahren völkerrechtlich an Bedeutung gewonnen hat: das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt.[22] Dieses Recht verbindet die klassischen Menschenrechte mit den planetaren Grenzen und macht deutlich, dass ökologische Stabilität keine Option, sondern Voraussetzung für die Ausübung aller anderen Rechte ist.
1.1.Grundrechte als Funktionsbedingung des Superorganismus
In einem Organismus haben einzelne Zellen keine „Menschenrechte“, aber sie unterliegen biologischen Bedingungen: Sie benötigen Energie, Wasser, Schutz vor toxischen Stoffen und eine verlässliche Umgebung, um ihre Funktion erfüllen zu können. Wenn ein Organismus systematisch bestimmte Bereiche unterversorgt oder toxischen Bedingungen aussetzt, entstehen Entzündungen, Nekrosen, letztlich Organversagen.
Übertragen auf die Menschheit heißt das:
- Physische Grundrechte (z.B. Zugang zu Wasser, Nahrung, Schutz vor Gewalt) sind Bedingungen, damit Menschen überhaupt leben und handeln können.[19][20][21]
- Soziale Grundrechte (z.B. Bildung, Gesundheit) sind Bedingungen, damit Menschen ihre Fähigkeiten entwickeln und zur Gesellschaft beitragen können.[19][20]
- Politische und informationelle Grundrechte (z.B. Meinungsfreiheit, Zugang zu Informationen, Beteiligung an Entscheidungen) sind Bedingungen, damit das „Nervensystem“ des Superorganismus verlässlich funktioniert.[19]
Diese Rechte sind nicht beliebig, sondern historisch und völkerrechtlich präzisiert. Die AEMR erklärt, dass alle Menschen „frei und an Würde und Rechten gleich geboren“ sind und Anspruch auf alle in der Erklärung genannten Rechte haben, ohne Unterschied nach etwa Herkunft, Geschlecht, Religion oder politischer Überzeugung.[19] Der ICESCR konkretisiert u.a. Rechte auf Arbeit, soziale Sicherheit, angemessene Lebensbedingungen, bestmögliche körperliche und geistige Gesundheit und Bildung.[20]
Wenn Staaten oder andere Machtakteure diese Rechte systematisch missachten, entsteht ein struktureller Widerspruch: Der Superorganismus verlangt auf der einen Seite nach Stabilität und Kooperation, schafft auf der anderen Seite aber Bedingungen, die große Teile des „Gewebes“ dauerhaft schädigen. Dieses Handbuch setzt deshalb voraus, dass die genannten Rechte nicht verhandelbar sind – weder für kurzfristige wirtschaftliche Vorteile noch für politische Machtkalküle.
1.2.Ökologische Grundrechte: Recht auf eine intakte Umwelt
Das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt wurde 2022 von der UN-Generalversammlung in einer Resolution ausdrücklich als Menschenrecht anerkannt.[22] Die Resolution verweist darauf, dass dieses Recht eng mit anderen bestehenden Rechten verknüpft ist, etwa mit dem Recht auf Leben, auf Gesundheit, auf Wasser und auf einen angemessenen Lebensstandard.[22][21]
Gleichzeitig zeigen die Daten zu Klima, Biodiversität und Verschmutzung, dass die physische Umwelt in vielen Bereichen außerhalb des sicheren Handlungsraums liegt.[2][3][5][6][7] Die Konsequenz ist klar: Wenn die Erde als Lebensraum destabilisiert wird, können andere Rechte praktisch nicht mehr voll ausgeübt werden. Extremwetter, Dürren, Überschwemmungen, Luftverschmutzung und der Zusammenbruch von Ökosystemen gefährden konkret Gesundheit, Ernährungssicherheit, Wohnraum und Bildung.
Das Recht auf eine gesunde Umwelt lässt sich in der Organismus-Analogie wie folgt interpretieren:
- Es garantiert, dass der „Körper“ des Superorganismus – also die Biosphäre und die physische Umwelt – nicht so geschädigt wird, dass grundlegende Funktionen ausfallen.
- Es verlangt, dass Emissionen, Ressourcennutzung und Schadstoffeinträge so gesteuert werden, dass die planetaren Grenzen wieder eingehalten oder zumindest nicht weiter verletzt werden.[5]
- Es bedeutet, dass Umweltzerstörung nicht als legitimer Preis für kurzfristigen Profit oder politischen Einfluss akzeptiert werden kann.
Ein System, das die Umwelt systematisch zerstört und gleichzeitig behauptet, Menschenrechte zu achten, erzeugt einen logischen Widerspruch: Es untergräbt die materiellen Voraussetzungen der Rechte, die es formal garantiert.
1.3.Soziale Grundrechte: Wasser, Ernährung, Wohnen, Gesundheit, Bildung
1.3.1.Wasser und sanitäre Versorgung
Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat in Allgemeiner Bemerkung Nr. 15 klargestellt, dass das Menschenrecht auf Wasser jedem Menschen „ausreichendes, sicheres, annehmbares, physisch zugängliches und bezahlbares Wasser für den persönlichen und häuslichen Gebrauch“ garantiert.[21] Dieses Recht ist Teil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard und untrennbar mit dem Recht auf Gesundheit verbunden.[20][21]
Trotz Fortschritten zeigt die WHO/UNICEF-Joint-Monitoring-Programme (JMP) für Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene, dass weiterhin Milliarden Menschen keinen Zugang zu sicher bewirtschaftetem Trinkwasser haben.[23] Zwischen 2015 und 2024 stieg der Anteil der Weltbevölkerung mit sicher bewirtschafteten Trinkwasserdiensten zwar von 68% auf 74%, aber im Jahr 2024 fehlte rund 2,1 Milliarden Menschen noch immer ein sicher bewirtschafteter Zugang; weitere Gruppen waren auf einfachere oder ungesicherte Quellen angewiesen.[23][25]
In der Logik des Superorganismus ist das so, als würden große Teile der Zellen nur sporadisch oder mit kontaminierten Flüssigkeiten versorgt. Die Folgen sind heute sichtbar: wasserbedingte Krankheiten, verminderte Arbeitsfähigkeit, erhöhte Kindersterblichkeit. Ein System, das diesen Zustand dauerhaft toleriert, riskiert chronische „Entzündungsherde“ im eigenen Gewebe.
1.3.2.Ernährung, Wohnen und Gesundheit
Die AEMR und der ICESCR garantieren ein Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Nahrung, Kleidung und Unterbringung, sowie das höchstmögliche Maß an körperlicher und geistiger Gesundheit.[19][20] Diese Rechte werden in weiteren UN-Dokumenten und Fachberichten konkretisiert, etwa im Kontext der Agenda 2030 und ihrer Nachhaltigkeitsziele (SDGs).
Faktisch existieren weiterhin hunderte Millionen Menschen in extremer Armut oder in unsicheren Wohnverhältnissen; der Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung ist in vielen Regionen lückenhaft. Empirische Daten zeigen zudem, dass Klima- und Umweltveränderungen diese Verwundbarkeit verstärken – etwa durch Ernteeinbußen, Hitzeextreme und klimabedingte Gesundheitsrisiken.[2][3][5]
Für den Superorganismus bedeutet das: Ein Teil des „Gewebes“ lebt permanent in Mangelsituationen, die nicht zufällig, sondern strukturell bedingt sind – unter anderem durch ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen, unfaire Handelsstrukturen und die Externalisierung von Kosten in ärmere Regionen.[8][9][10] Ein System, das diese Situation nicht aktiv zu verändern versucht, akzeptiert chronische Funktionsstörungen als Normalzustand.
1.3.3.Bildung als „Neurogenese“ des Superorganismus
Bildung ist in der AEMR als Recht auf Bildung verankert, das auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung von Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und Gruppen abzielt.[19] Der ICESCR verpflichtet Staaten, den Zugang zu Grund- und Sekundarbildung schrittweise zu verbessern und letztlich unentgeltlich zu machen.[20]
Trotzdem waren 2023 weltweit etwa 272 Millionen Kinder und Jugendliche nicht in der Schule – eine Zahl, die seit 2015 nahezu nicht gesunken ist.[24] UNESCO und andere Organisationen weisen darauf hin, dass Armut, Konflikte, Diskriminierung und zunehmende Krisen (einschließlich Klimaextreme) den Schulbesuch systematisch beeinträchtigen.[24][26]
In jüngeren Berichten zeigt UNICEF, dass extreme Wetterereignisse – Hitzewellen, Überschwemmungen, Stürme – im Jahr 2024 den Schulbesuch von mindestens 242 Millionen Kindern beeinträchtigt haben.[26] Schulen mussten schließen oder waren unbenutzbar, weil Gebäude überflutet, beschädigt oder unzureichend gegen Hitze geschützt waren.[26]
Für den Superorganismus ist Bildung funktional vergleichbar mit der Bildung und Vernetzung neuer Nervenzellen: Sie entscheidet darüber, wie gut das System lernen, planen und komplexe Probleme lösen kann. Wenn ein erheblicher Teil der jungen „Zellen“ keinen Zugang zu Bildung hat oder durch Krisen daran gehindert wird, entstehen nicht nur individuelle Nachteile, sondern eine kollektive Schwächung der Steuerungs- und Innovationsfähigkeit.
1.4.Politische und informationelle Grundrechte
1.4.1.Politische Rechte und Selbstbestimmung
Die AEMR und die Menschenrechtspakte erkennen das Recht jedes Menschen an, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes direkt oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken.[19] Der ICESCR betont in Artikel 1 das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung, einschließlich der freien Verfügung über ihre natürlichen Reichtümer und Ressourcen.[20][17]
Diese Rechte sind zentral für den Superorganismus: Sie stellen sicher, dass Entscheidungen, die das „Gesamtorgan“ betreffen, nicht dauerhaft an kleine, unkontrollierte Machtgruppen ausgelagert werden. Politische Teilhabe und Selbstbestimmung sind keine bloßen „Zugeständnisse“, sondern Mechanismen, mit denen das System Rückmeldungen aus allen Teilen des Gewebes aufnehmen kann.
Wenn politische Rechte ausgehöhlt werden – durch Manipulation von Wahlen, Unterdrückung der Opposition, Einschränkung von Versammlungsfreiheit und Medienfreiheit – verliert der Superorganismus Sensoren und Korrekturkanäle. Die bereits erwähnten Trends zu Autokratisierung und Demokratieabbau sind deshalb nicht nur normativ problematisch, sondern funktional riskant.[11][12]
1.4.2.Meinungsfreiheit, Informationszugang und digitale Dimension
Die AEMR garantiert in Artikel 19 das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, einschließlich des Rechts, Informationen und Ideen über Medien jeder Art zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten, unabhängig von Grenzen.[19] In einer digital vernetzten Welt umfasst dieses Recht auch den Zugang zu elektronischen Kommunikationsmitteln und Online-Informationsquellen.
Gleichzeitig schaffen digitale Plattformen neue Machtkonzentrationen: Wenige Unternehmen kontrollieren zentrale Kommunikationsinfrastrukturen, sammeln und verarbeiten große Datenmengen und bestimmen über algorithmische Auswahl und Sortierung, welche Inhalte sichtbar werden.[13] Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (Guiding Principles on Business and Human Rights) betonen, dass Unternehmen die Menschenrechte respektieren müssen, auch wenn der Staat sie unzureichend schützt.[26]
Für den Superorganismus bedeutet dies:
- Meinungsfreiheit und Informationszugang sind notwendige Bedingungen, damit das „Nervensystem“ überhaupt realitätsnahe Signale verarbeiten kann.
- Datenschutz, Schutz vor Manipulation und Transparenz über algorithmische Entscheidungen sind nicht nur individuelle Schutzgüter, sondern systemische Anforderungen.
- Plattformen und andere Informationsintermediäre tragen Verantwortung für den Schutz von Rechten und dürfen nicht ausschließlich an kurzfristigen Profiten ausgerichtet sein.[13][26]
Die Forschung zu Desinformation und Korrekturen zeigt, dass Menschen durchaus in der Lage sind, ihre Überzeugungen anzupassen, wenn Korrekturen klar, frühzeitig und vertrauenswürdig kommuniziert werden.[14][15] Ein informationsökologisch gesundes System stärkt daher Medienkompetenz, baut Strukturen zur Korrektur von Falschinformationen auf und nutzt „Prebunking“-Ansätze, um Menschen gegen manipulative Techniken zu wappnen.[14][15]
2.Unverzichtbare Systemprinzipien
Auf Basis der bisherigen Analyse lassen sich einige Prinzipien formulieren, die für einen gesunden Superorganismus unverzichtbar sind. Sie sind so allgemein gehalten, dass sie nicht an ein bestimmtes politisches System oder eine konkrete Institution gebunden sind, aber so präzise, dass sie klare Grenzen gegenüber destruktiven Ausnahmen ziehen.
2.1.Universalität und Nicht-Diskriminierung
Alle Menschen haben dieselben Grundrechte – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion, politischer Überzeugung, Einkommen oder Staatsangehörigkeit.[19] In der Organismus-Analogie bedeutet das: Alle Zellen sind im Hinblick auf ihren Anspruch auf Versorgung, Schutz und Mitbestimmung grundsätzlich gleichwertig. Spezialisierungen (z.B. unterschiedliche Rollen, Berufe, Verantwortlichkeiten) rechtfertigen keine Abstufung der grundlegenden Rechte.
Universalität schließt aus:
- dauerhafte „Menschen zweiter Klasse“, deren Rechte systematisch weniger geachtet werden,
- politische oder wirtschaftliche Systeme, die bestimmte Gruppen strukturell benachteiligen, um anderen dauerhafte Vorteile zu sichern.
2.2.Keine Externalisierung existenzieller Schäden
Viele aktuelle Krisen resultieren daraus, dass Kosten in Raum und Zeit externalisiert werden: Emissionen, Umweltzerstörung und soziale Belastungen werden in andere Länder oder auf zukünftige Generationen verschoben.[2][3][5][8][9][10] Dieses Muster widerspricht dem Prinzip der gemeinsamen physikalischen Basis und der Interdependenz aller Teile des Superorganismus.
Ein zentrales Prinzip dieses Leitfadens lautet deshalb:
- Existenziell schädliche Wirkungen (z.B. Überschreitung planetarer Grenzen, systematische Verletzung von Grundrechten) dürfen weder räumlich noch zeitlich externalisiert werden.
- Wo Externalisierung bereits stattgefunden hat, besteht eine Verpflichtung zur Schadensbegrenzung und, soweit möglich, zur Wiedergutmachung.
2.3.Begrenzung und Kontrolle von Machtkonzentration
Machtkonzentration – ob in Staaten, Unternehmen oder Plattformen – ist funktional riskant, wenn sie nicht von wirksamen Kontrollmechanismen begleitet wird. Die Demokratie- und Menschenrechtsindizes zeigen, dass unkontrollierte Machtkonzentration häufig mit der Aushöhlung von Rechten, Korruption und schlechter Krisenbewältigung einhergeht.[11][12]
Für einen gesunden Superorganismus gilt:
- Machtkonzentration ist nur dann akzeptabel, wenn sie transparent, zeitlich begrenzt und institutionell kontrolliert ist.
- Es müssen Mechanismen existieren, die Missbrauch sanktionieren und Macht friedlich umbauen oder zurückfahren können.
- Wirtschaftliche und digitale Machtfelder (z.B. große Konzerne, Plattformen) sind ebenfalls Gegenstand solcher Kontrollmechanismen, nicht nur staatliche Institutionen.[26]
2.4.Vorrang von Grundrechten vor Profitinteressen
Ökonomische Aktivität ist für den Superorganismus wichtig: Sie sichert Versorgung, ermöglicht Spezialisierung und schafft Spielräume für Innovation. Langfristige Stabilität hängt jedoch davon ab, dass Grundrechte und ökologische Leitplanken nicht systematisch dem Profitstreben untergeordnet werden.[5][8][9][10]
Das Prinzip lautet deshalb:
- Wirtschaftliche Aktivitäten sind legitime Mittel zur Versorgung des Superorganismus, dürfen aber nicht zu Zwecken werden, denen Grundrechte und ökologische Stabilität geopfert werden.
- Unternehmensverantwortung und Regulierungsrahmen müssen so gestaltet sein, dass Menschenrechte und Umweltstandards nicht „nachrangige Bedingungen“, sondern harte Grenzen sind.[26]
Empirische Studien, u.a. von OECD und anderen Institutionen, deuten zudem darauf hin, dass extreme Ungleichheit langfristig auch wirtschaftliches Wachstum und Stabilität schwächen kann.[8][9][10][27] Das bestätigte den funktionalen Charakter dieses Prinzips: Es geht nicht um „Verzicht auf Wachstum um jeden Preis“, sondern um das Erkennen, dass soziale Kohäsion und faire Verteilung systemrelevant sind.
2.5.Lernfähigkeit, Feedback und Commons-Management
Ein gesunder Organismus ist lernfähig: Er reagiert auf Störungen, passt Verhalten an und verändert Strukturen, wenn sie sich als schädlich erweisen. Für soziale Systeme heißt das:
- Es braucht Indikatoren und Monitoring, die anzeigen, ob Maßnahmen die beabsichtigten Wirkungen haben oder unerwartete Schäden verursachen.
- Es braucht institutionalisierte Verfahren, um Gesetze, Verträge und Regelwerke zu überprüfen, zu korrigieren oder aufzuheben.
- Es braucht Strukturen, in denen betroffene Gemeinschaften an der Gestaltung von Regeln und der Verwaltung gemeinsamer Ressourcen beteiligt sind.
Elinor Ostrom hat anhand zahlreicher Fallstudien gezeigt, dass Gemeinschaften in der Lage sind, gemeinsame Ressourcen ( Commons) nachhaltig zu verwalten, wenn bestimmte Designprinzipien erfüllt sind: klar definierte Grenzen, an lokale Bedingungen angepasste Regeln, partizipative Entscheidungsprozesse, Monitoring, abgestufte Sanktionen, Konfliktlösungsmechanismen und die Einbettung in übergeordnete Institutionen.[28] Diese Ergebnisse zeigen, dass dezentral organisierte, gemeinschaftsbasierte Governance real funktionieren kann – und nicht zwangsläufig in Tragödien des Gemeinguts münden muss.[28]
Für den Superorganismus bedeutet das: Lernfähigkeit ist keine abstrakte Forderung, sondern eine Frage der institutionellen Architektur. Systeme, die Fehler nicht erkennen, keine Korrekturmechanismen besitzen oder Kritik systematisch unterdrücken, verhalten sich wie Organismen mit gestörtem Nervensystem.
2.6.Keine schädlichen Ausnahmen
Viele reale Systeme funktionieren so, dass sie auf der Ebene der Prinzipien hohe Standards formulieren, diese aber durch Ausnahmen unterlaufen. Typische Muster sind:
- Sonderrechte für besonders große oder „systemrelevante“ Unternehmen („too big to regulate“),
- Notstandsgesetze, die dauerhaft werden und Grundrechte aushebeln,
- „Standortwettbewerb“, der genutzt wird, um Umweltauflagen, Steuern oder Arbeitsstandards zu unterbieten.
Für den Superorganismus sind solche Ausnahmen dann schädlich, wenn sie:
- Grundrechte systematisch einschränken, ohne dass dies zeitlich eng begrenzt, transparent begründet und demokratisch kontrolliert ist.
- planetare Grenzen verletzen oder bestehende Überschreitungen verstärken.[2][3][5]
- Machtkonzentrationen verstetigen, die sich wirksamer Kontrolle entziehen.[11][12][26]
Dieses Handbuch geht deshalb von einem strikten Grundsatz aus:
- Jeder Vorschlag für eine „Ausnahme“ von den hier skizzierten Grundrechten und Systemprinzipien muss so behandelt werden, als sei er potentiell systemgefährdend.
- Eine Ausnahme ist nur dann akzeptabel, wenn sie
- klar befristet,
- in ihrem Umfang eng begrenzt,
- transparent begründet,
- gerichtlich überprüfbar
- und demokratisch revidierbar ist.
Damit soll nicht verhindert werden, auf Krisen flexibel zu reagieren. Vielmehr wird festgelegt, dass Flexibilität nicht als Vorwand dienen darf, um Grundrechte, ökologische Leitplanken oder Machtkontrolle dauerhaft auszuhöhlen.
2.7.Quellen (Teil III)
[19] Vereinte Nationen (1948): Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Universal Declaration of Human Rights).
https://www.un.org/en/about-us/universal-declaration-of-human-rights
https://www.un.org/en/udhrbook/pdf/udhr_booklet_en_web.pdf
[20] Vereinte Nationen (1966): International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR).
https://www.ohchr.org/en/instruments-mechanisms/instruments/international-covenant-economic-social-and-cultural-rights
[21] UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights (2003): General Comment No. 15: The right to water (Arts. 11
and 12 of the Covenant), E/C.12/2002/11.
https://www.refworld.org/legal/general/cescr/2003/en/39347
[22] UN-Generalversammlung (2022): Resolution 76/300 – The human right to a clean, healthy and sustainable
environment.
https://docs.un.org/en/a/res/76/300
https://digitallibrary.un.org/record/3983329
[23] UNICEF (2025): Access to drinking water – Daten zu sicher bewirtschafteten Trinkwasserdiensten 2015–2024.
https://data.unicef.org/topic/water-and-sanitation/drinking-water/
[24] UNESCO / Global Education Monitoring Report (2025): Out-of-school rate – Schätzungen zur Zahl der Kinder und
Jugendlichen ohne Schulbesuch (272 Millionen im Jahr 2023).
https://www.unesco.org/gem-report/en/view/outofschool
https://world-education-blog.org/2025/06/09/the-out-of-school-population-is-higher-than-previously-thought-and-rising/
[25] WHO/UNICEF Joint Monitoring Programme (2024/2025): Progress on household drinking-water, sanitation and hygiene
2000–2024, with a special focus on inequalities.
https://www.who.int/publications/m/item/progress-on-household-drinking-water--sanitation-and-hygiene-2000-2024--special-focus-on-inequalities
[26] UNICEF (2025): Bericht zu Bildungsausfällen durch Extremwetter (z.B. AP- und Medienberichte zu 242 Millionen
betroffenen Kindern im Jahr 2024).
(Beispielhafte Zusammenfassung:
https://apnews.com/article/eb93150ca5c1f79a663f7c6755be3196)
[27] OECD (2014): Trends in Income Inequality and its Impact on Economic Growth. OECD Social, Employment and Migration
Working Papers, No. 163.
https://www.oecd.org/publications/trends-in-income-inequality-and-its-impact-on-economic-growth-5jxrjncwxv6j-en
[28] Ostrom, E. (u.a.): Eight design principles for successful commons – diverse Zusammenfassungen der
Gestaltungsprinzipien, z.B. in:
https://patternsofcommoning.org/uncategorized/eight-design-principles-for-successful-commons/
sowie Ostroms ursprünglichen Arbeiten zur Governance von Allmenden.