Am Scheideweg: Demokratie zwischen Klimakrise, Kapitalismus und Rechtsruck

Eine Welt im Krisenmodus

Am Scheideweg
Demokratie zwischen Klimakrise, Kapitalismus & Rechtsruck

Ein riesiges Kreuzfahrtschiff kämpft im Sturm, eine Seite brennt lichterloh. Schwarzer Rauch steigt auf, Wellen peitschen gegen den Rumpf. Auf der Brücke ringen Männer um das Steuer – Symbol für den Kampf um Kontrolle.

Stellen wir uns die heutige Gesellschaft als ein großes Schiff vor, das in einen gewaltigen Sturm gerät. Dieser Sturm steht sinnbildlich für die Klimakrise, die immer stärker wird und das Schiff heftig durchrüttelt (www.ipcc.ch). Unter Deck brennt es bereits – ein Symbol für die sozialen Spannungen und die extreme Ungleichheit an Bord: Einige wenige haben sich fast alle Rettungsboote (Reichtum und Ressourcen) gesichert, während viele andere um ihr Überleben bangen (www.oxfam.org.tw). Auf der Kommandobrücke tobt ein Machtkampf: Demokratische Kräfte ringen darum, den Kurs zu halten, doch immer mehr autoritäre und rechtsextreme Akteure drängen ans Steuer (www.democracywithoutborders.org). Dieses Bild verdeutlicht die verflochtene Krise unserer Zeit – eine ökologische Bedrohung, soziale Ungerechtigkeit und politische Instabilität verstärken sich gegenseitig.

Diese Metapher spiegelt die Realität erschreckend gut wider. Wissenschaftler warnen, dass uns nur noch ein kleines und sich rasch schließendes Zeitfenster bleibt, um einen lebenswerten Planeten zu bewahren. 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, mit einer globalen Durchschnittstemperatur von etwa 1,45 °C über dem vorindustriellen Niveau (wmo.int). Unzählige Menschen litten weltweit unter nie dagewesenen Hitzewellen, Überschwemmungen und Feuerkatastrophen, die „Unheil und Chaos“ brachten und milliardenschwere Schäden verursachten (wmo.int). Gleichzeitig klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander: Die reichsten 1 % der Weltbevölkerung haben seit 2020 fast zwei Drittel des neu entstandenen Vermögens an sich gezogen – beinahe doppelt so viel wie die restlichen 99 % zusammen. Während sich also ein kleiner Kreis immer mehr Reichtum aneignet, fühlen sich Millionen Menschen abgehängt. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer globalen politischen Entwicklung, die Demokratieforscher mit Sorge betrachten: In allen Regionen der Welt steht die Demokratie unter Beschuss durch populistische Führungen, die pluralistische Werte verachten und unkontrollierte Macht für sich fordern – meist auf Kosten von Minderheiten und Sündenböcken (freedomhouse.org). Autokratische Tendenzen nehmen derart zu, dass Autokratien inzwischen die Demokratien nicht nur zahlenmäßig überholt haben, sondern auch 72 % der Weltbevölkerung (ca. 5,8 Milliarden Menschen) unter autoritärer Herrschaft leben – so viele wie seit 50 Jahren nicht mehr . Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Klimastabilität – alle drei stehen simultan auf dem Spiel.

Voraussetzungen für den Wandel

Angesichts dieser mehrfachen Krise stellt sich die Frage: Was braucht es, um den Kurs des „Schiffes“ zu ändern und eine Katastrophe abzuwenden? Erstens muss jede Lösung fair und inklusiv sein. Nur wenn Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen, werden nötige Veränderungen von der Bevölkerung mitgetragen. Ein eindrückliches Beispiel dafür waren die Proteste der „Gelbwesten“ in Frankreich 2018/19: Eine geplante Erhöhung der Treibstoffsteuer – verkauft als Umweltmaßnahme – brachte vor allem ärmere Pendler und ländliche Bewohner gegen die Regierung auf. Die Proteste eskalierten, doch nicht weil die Menschen Klimaschutz grundsätzlich ablehnen. Im Gegenteil, viele Demonstrierende forderten sogar strengere Strafen für Umweltverschmutzer und mehr Förderung für ökologische Landwirtschaft (www.greeneconomycoalition.org, www.greeneconomycoalition.org). Ihre Wut richtete sich gegen die soziale Schieflage der Maßnahme: Warum, so fragten sie zu Recht, sollten ausgerechnet die einfachen Leute auf dem Land die Hauptlast der Energiewende schultern, während reiche Vielflieger und Großunternehmen weitermachen wie bisher? Die Lehre aus diesem „Gelbwesten“-Moment ist klar: Grüne Politik muss gerecht sein – oder sie wird auf Widerstand stoßen. Klimaschutzmaßnahmen sollten so gestaltet werden, dass die Kosten und die Nutzen fair verteilt sind. Dazu gehören z.B. Ausgleichsmaßnahmen für Geringverdiener oder Investitionen, die Alternativen bieten (etwa erschwinglicher öffentlicher Nahverkehr anstelle von höheren Benzinpreisen).

Zweitens braucht es Zusammenarbeit und Weitsicht – lokal wie global. Kein Land und keine Gemeinde kann die Klimakrise oder die Erosion der Demokratie allein bewältigen. Der Weltklimarat (IPCC) betont, dass klimaresiliente Entwicklung nur möglich ist, wenn international kooperiert wird, finanzielle Unterstützung für besonders verwundbare Regionen aufgestockt wird und eine inklusive Regierungsführung gewährleistet ist. Übersetzt heißt das: Die Staaten müssen an einem Strang ziehen, sich gegenseitig helfen und die Menschen vor Ort in Entscheidungen einbeziehen. Positive Ansätze gibt es bereits. In einigen Ländern wurden Bürgerversammlungen einberufen, um Klimamaßnahmen zu diskutieren – in Frankreich etwa startete die Regierung einen landesweiten Bürgerdialog, um die Anliegen der Bevölkerung nach den Gelbwesten-Protesten aufzunehmen. Solche partizipativen Formate können das Vertrauen stärken und dafür sorgen, dass Lösungen auf breiter Akzeptanz fußen. Auf globaler Ebene gibt es Abkommen wie das Pariser Klimaabkommen, doch deren Ziele sind nur erreichbar, wenn alle Beteiligten ihre Versprechen einhalten oder übertreffen. Voraussetzung dafür ist auch, dass wissenschaftliche Erkenntnisse ernst genommen und nicht aus kurzfristigen Interessen ignoriert werden. Wo Regierungen Fakten leugnen oder unterdrücken, werden nötige Schritte verzögert – kostbare Zeit geht verloren.

Drittens verfügen wir bereits über viele Werkzeuge und Technologien, um Kurskorrekturen einzuleiten – wir müssen sie nur konsequent einsetzen. Erneuerbare Energien stehen bereit, Verschmutzung zu reduzieren und gleichzeitig wirtschaftliche Chancen zu bieten. So war 2023 nicht nur ein Jahr der Klimaextreme, sondern auch ein Jahr des Durchbruchs bei nachhaltiger Energie: Weltweit wurde rund 50 % mehr an erneuerbarer Energiekapazität neu installiert als im Vorjahr, insgesamt 510 Gigawatt innerhalb eines Jahres. Dieses beispiellose Wachstum – das höchste seit zwei Jahrzehnten – zeigt, dass ein schneller Umbau der Energieversorgung machbar ist. Länder wie Costa Rica oder Dänemark beziehen schon heute einen Großteil ihres Stroms aus Sonne, Wind und Wasser (www.climatecouncil.org.au, theprogressplaybook.com). Solche Erfolge illustrieren, dass die technischen Voraussetzungen für eine Wende vorhanden sind. Ähnliches gilt für soziale Innovationen: Konzepte wie die Kreislaufwirtschaft, solidarische Landwirtschaft oder genossenschaftliche Unternehmen liegen auf dem Tisch und warten darauf, skaliert zu werden. Die eigentlichen Herausforderungen liegen weniger in fehlenden Lösungen, sondern vielmehr darin, die politischen und wirtschaftlichen Hürden zu überwinden, die ihrer Umsetzung im Wege stehen.

Herausforderungen im kapitalistischen System

Warum fällt es unserem derzeitigen System so schwer, diese offensichtlichen Lösungen umzusetzen? Ein wichtiger Grund sind die inneren Widersprüche des heutigen, profitorientierten Kapitalismus. Vereinfacht gesagt beruht die Logik der globalen Wirtschaft auf ständigem Wachstum und kurzfristigem Gewinnstreben – doch wir leben auf einem endlichen Planeten mit endlichen Ressourcen. Dieses System belohnt, wer jetzt Profit macht, selbst wenn dabei langfristig Schäden entstehen. Umweltprobleme gelten in der Buchhaltung als „externe Kosten“, die oft der Allgemeinheit oder zukünftigen Generationen aufgebürdet werden. So liegt beispielsweise ein grundlegender Konflikt darin, dass Konzerne auf Quartalsgewinne und Aktienkurse schielen, während der Kampf gegen die Erderhitzung Investitionen erfordert, die sich erst über Jahre oder Jahrzehnte auszahlen. Experten sprechen von einer „grundsätzlichen Spannung“ zwischen dem Diktat kurzfristiger Profite und der dringenden Notwendigkeit, Emissionen zu senken (www.theguardian.com). Diese Spannung ist überall spürbar: Obwohl Wissenschaftler klar warnen, dass ein „Weiter so“ der fossilen Industrien bis zum Ende des Jahrhunderts verheerende 4 °C globaler Erwärmung bedeuten würde, fließen weiterhin Milliarden in neue Ölbohrungen, Kohleminen oder Gaspipelines – Projekte, die sich nur rentieren, wenn Klimaschutz scheitert. Anders ausgedrückt: Unser Wirtschaftssystem gleicht einem Fahrzeug mit voll durchgedrücktem Gaspedal, aber ohne ausreichende Bremsen oder Sicherheitsgurt. Es erzeugt Wohlstand, ja, aber um den Preis, dass Risiken ignoriert werden. Früher oder später droht ein Unfall – sei es in Form einer Finanzkrise, sozialer Unruhen oder ökologischer Zusammenbrüche.

Hinzu kommt, dass die Gestaltung des heutigen Kapitalismus enorme Macht- und Wohlstandskonzentrationen begünstigt. Während breite Bevölkerungsschichten mit stagnierenden Löhnen, unsicheren Jobs und steigenden Lebenshaltungskosten kämpfen, verfügen die Spitzen der Einkommenspyramide über beispiellosen Einfluss. Extrembeispiele dafür sind milliardenschwere Wirtschaftsführer, deren Entscheidungen ganze Volkswirtschaften beeinflussen können. Extreme Ungleichheit ist dabei nicht nur ein soziales Problem, sondern auch ein demokratisches: Wer sehr reich ist, kann sich Gehör verschaffen – etwa durch Lobbying, Medieneinfluss oder die Finanzierung politischer Kampagnen – wie es normale Bürger niemals könnten. So verwundert es kaum, dass mächtige Interessengruppen oftmals notwendige Reformen blockieren. Die fossile Energieindustrie etwa hat jahrzehntelang erfolgreich strengere Umweltauflagen ausgebremst. Allein in den letzten Jahren erhielten über 5.000 Lobbyisten der Öl-, Gas- und Kohlebranche Zugang zu internationalen Klimaverhandlungen (www.democracynow.org) – eine beispiellose Präsenz, die dazu genutzt wird, ambitionierte Klimaziele abzuschwächen. Auch auf nationaler Ebene ist der Einfluss der Großunternehmen spürbar: Von der Agrarlobby bis zur Finanzindustrie wehrt man sich gegen Auflagen, höhere Abgaben oder Haftung für Schäden. Solange die Profiteure des Status quo das Tempo der Veränderung diktieren, bleibt der Handlungsspielraum für demokratische Regierungen begrenzt. Zudem untergräbt die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich das Vertrauen der Bürger in das System. Wenn das Gefühl entsteht, dass „die da oben“ immer reicher werden – etwa dadurch, dass seit 2020 fast der gesamte neue Wohlstand an das oberste 1 % ging –, während für „die da unten“ nichts übrigbleibt, dann schwindet die Bereitschaft, Opfer für die Gemeinschaft zu bringen. Menschen, die sich abgehängt fühlen, neigen eher dazu, einfachen Parolen oder radikalen Heilsversprechen zu folgen.

Genau hier liegt die perhaps gefährlichste Herausforderung: Die soziale Frage und die ökologische Frage sind untrennbar mit der Zukunft der Demokratie verknüpft. Wenn der Kapitalismus in seiner jetzigen Form unbegrenzt fortschreibt, was er in den letzten Jahrzehnten getan hat – nämlich sozialen Schutz abbauen, Ungleichheit erhöhen und öffentliche Daseinsvorsorge dem Markt unterwerfen – entsteht ein Nährboden für autoritäre Versuchungen. Der österreichische Ökonom Karl Polanyi beobachtete bereits im frühen 20. Jahrhundert, dass eine völlig unregulierte Marktgesellschaft die Menschen ins Elend stürzt und zwangsläufig Gegenbewegungen provoziert. Werden die berechtigten Schutzforderungen der Bevölkerung dann von liberalen Eliten ignoriert oder blockiert, suchen die verzweifelten Massen ihr Heil irgendwann bei autoritären Führern (theweek.com). Polanyi schrieb 1944 rückblickend, die Verhinderung sozialer Reformen in den 1920ern habe den Sieg des Faschismus nahezu unvermeidlich gemacht, denn schließlich habe die entfesselte Marktwirtschaft direkt in die Weltwirtschaftskrise und den Aufstieg des Nationalsozialismus geführt. Diese historische Lektion klingt unheilvoll in unserer Gegenwart nach. Nach den neoliberalen Deregulierungsschüben der 1980er und 90er Jahre, die global zu steigender Ungleichheit, Arbeitsplatzabbau und Lohnstagnation führten, erlebten wir 2008 wieder einen großen Crash – und seither beobachten wir weltweit einen Aufschwung des Rechtspopulismus und ethnischen Nationalismus. Mit anderen Worten: Ökonomische Not und Perspektivlosigkeit sind der Humus, auf dem Extremismus gedeiht. Unser derzeitiges System ist in der jetzigen Form so designt, dass es genau diese Not für viele hervorbringt. Das ist nicht nachhaltig – weder ökologisch noch sozial noch politisch. Die Herausforderung besteht also darin, die Spielregeln unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems so zu ändern, dass Wohlstand innerhalb planetarer Grenzen möglich ist und alle Menschen eine würdige Existenz haben. Gelingt das nicht, droht eine Zukunft, in der immer mehr verunsicherte Gesellschaften dem Ruf autoritärer „Retter“ folgen – mit fatalen Konsequenzen für Freiheit, Gerechtigkeit und unsere Lebensgrundlagen.

Lösungsansätze und Wege zur Umsetzung

Angesichts dieser Lage braucht es keinen kosmetischen Feinschliff, sondern tiefgreifende Änderungen – einen echten Kurswechsel. Die gute Nachricht: Es gibt durchaus konkrete Lösungsansätze, um die zerstörerische Dynamik zu durchbrechen. Im Kern laufen sie auf einen Dreiklang hinaus: sozialen Ausgleich stärken, ökologische Wende vorantreiben und demokratische Teilhabe ausbauen. Diese Bereiche greifen ineinander und müssen gemeinsam angegangen werden, damit das Gesamtsystem stabiler und gerechter wird.

1. Soziale Gerechtigkeit und Sicherheit: Ein zentraler Hebel ist die Verringerung extremer Ungleichheit. Wenn alle Menschen die Grundbedürfnisse gedeckt sehen und Zukunftschancen haben, schwinden Angst und Frust – und damit der Nährboden für Hassparolen. Konkret heißt das, wir brauchen einen neuen Sozialvertrag, der niemanden zurücklässt. Dazu zählen eine starke öffentliche Daseinsvorsorge (etwa Bildung, Gesundheit, Rente) und Instrumente wie ein existenzsichernder Mindestlohn oder sogar ein bedingungsloses Grundeinkommen. Finanzierungsmöglichkeiten sind vorhanden: Eine moderate Steuer auf enorme Vermögen könnte gewaltige Mittel freisetzen. Laut einer Analyse der Entwicklungsorganisation Oxfam würde eine globale Abgabe von nur 5 % auf Multimillionäre und Milliardäre rund 1,7 Billionen US-Dollar pro Jahr einbringen – genug, um 2 Milliarden Menschen aus der Armut zu holen (www.oxfam.org.tw). Das zeigt, welch immense Ressourcen mobilisiert werden könnten, ohne den breiten Mittelstand zu belasten, wenn politische Mehrheiten es wollen. Historisch haben viele Länder bereits bewiesen, dass sozialer Ausgleich und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen können: Nach dem Zweiten Weltkrieg etwa schufen westeuropäische Staaten umfangreiche Wohlfahrtssysteme, stärkten Gewerkschaften und Rechte der Arbeitnehmer und erzielten damit Dekaden von relativem Wohlstand und sozialem Frieden. An diese Tradition könnte man anknüpfen – beispielsweise durch höhere Besteuerung extremer Reichtümer, Schließen von Steuerschlupflöchern für Großkonzerne, Investitionen in Sozialsysteme und aktive Arbeitsmarktpolitik. Eine sozial gerechtere Gesellschaft ist nicht nur ein Selbstzweck, sondern auch Krisenvorsorge: Sie erhöht die Resilienz gegen wirtschaftliche Schocks, Pandemien oder Klimafolgen, weil die Menschen ein Sicherheitsnetz haben und sich weniger von Angst und Spaltern in die Extreme treiben lassen.

2. Ökologischer Umbau und nachhaltige Wirtschaft: Parallel dazu muss der ökologische Wandel mit Hochdruck umgesetzt werden – aber so, dass er allen nützt. Die Technologien und Ideen sind vorhanden: Ausbau erneuerbarer Energien, energieeffiziente Gebäude, umweltfreundliche Mobilität, Wiederaufforstung, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Landwirtschaft – um nur einige zu nennen. Jetzt geht es darum, sie im großen Maßstab und zügig auszubauen. Hier bietet sich die Vision eines „grünen New Deal“ an: umfangreiche öffentliche Investitionsprogramme, die Klimaschutz, Arbeitsplätze und Infrastrukturentwicklung verbinden. Durch gezielte Förderung könnten Millionen neue Jobs in Zukunftsbranchen entstehen, was wiederum den sozialen Zusammenhalt stärkt. Beispiele zeigen, dass ambitionierte Politiken wirken können. Dänemark etwa deckt bereits rund 75 % seines Strombedarfs mit Wind- und Solarenergie (theprogressplaybook.com), und Costa Rica erzeugt seit Jahren nahezu seinen gesamten Strom aus Erneuerbaren (www.climatecouncil.org.au). Entscheidend ist, dass der Staat eine aktive Rolle spielt, anstatt alles dem Markt zu überlassen. So schlägt es auch der Wirtschaftsjournalist Jeff Spross vor: Regierungen sollten als „öffentliche Option“ für Beschäftigung auftreten und große Programme in Bereichen wie Infrastruktur, Pflege, Bildung und Umweltsanierung auflegen. Auf diese Weise können gleichzeitig Emissionen gesenkt und gesellschaftlicher Mehrwert geschaffen werden. Wichtig ist zudem, die Beschäftigten in alten Industrien nicht zu vergessen – niemand darf beim Strukturwandel ins Bodenlose fallen. Konzepte für einen fairen Übergang („Just Transition“) beinhalten z.B. Umschulungen, Abfindungen und neue Chancen für Kohlekumpel, Autoarbeiter & Co. Auch das Setzen der richtigen Anreize ist Teil der Lösung: Umweltzerstörung muss sich nicht mehr lohnen, stattdessen soll nachhaltiges Handeln belohnt werden. Dazu gehören etwa CO₂-Preise oder das Abschaffen klimaschädlicher Subventionen. Zur Einordnung: Noch immer pumpen die größten Volkswirtschaften viel mehr öffentliches Geld in fossile Energien als in erneuerbare – bei den G20-Staaten etwa viermal so viel (www.theguardian.com). Hier gilt es umzusteuern, damit die Marktbedingungen fair werden und grüne Technologien voll konkurrenzfähig sind. Schließlich muss anerkannt werden, dass der Klimawandel globale Gerechtigkeitsfragen aufwirft: Die Länder, die historisch am meisten Treibhausgase emittiert haben, tragen eine Verantwortung, ärmere Länder bei Anpassung und sauberer Entwicklung zu unterstützen. Technologietransfer, Schuldenerleichterungen und Klimahilfsfonds sind Wege, um diese internationale Solidarität zu üben – was langfristig allen zugutekommt, weil nur ein globaler Fortschritt die Katastrophe abwenden kann.

3. Stärkung der Demokratie und Teilhabe: Der dritte Baustein betrifft die politische Kultur und Institutionen. Demokratie muss wehrhafter und gleichzeitig bürgernäher werden, um dem Autoritarismus die Stirn zu bieten. Das bedeutet zum einen, die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen – unabhängige Gerichte, freie Medien, Minderheitenschutz – und entschlossen gegen Korruption, Desinformation und Machtmissbrauch vorzugehen. Zum anderen heißt es, neue Formen der Mitsprache zu schaffen, damit Menschen das Gefühl haben, gehört zu werden und aktiv mitgestalten zu können. Direkte Demokratie auf lokaler Ebene, Bürgerhaushalte, Bürger*innenräte zu wichtigen Zukunftsfragen oder regelmäßig konsultierte Bürger*innenversammlungen können helfen, die Kluft zwischen Bevölkerung und politischer Elite zu verringern. In Island beispielsweise wurden nach der Finanzkrise Bürger an der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beteiligt; Irland hat erfolgreich per Bürgerrat komplexe ethische Fragen (wie die Ehe für alle oder Abtreibungsrechte) beraten lassen. Solche Beteiligungsformate erhöhen die Akzeptanz von Entscheidungen und führen oft zu klugen, gemeinwohlorientierten Ergebnissen. Auch in Frankreich, nach den angesprochenen Protesten, wurde ein „Konvent für den Klimaschutz“ einberufen, in dem per Los ausgewählte Bürgerinnen und Bürger Empfehlungen für die Klimapolitik erarbeiteten. Die Politik griff etliche dieser Vorschläge auf – ein Beleg, dass Bürgerbeteiligung tatsächlich etwas bewegen kann. Darüber hinaus müssen demokratische Kräfte international zusammenarbeiten, um autoritären Strömungen entgegenzutreten. Initiativen wie die Allianz der Demokratien oder globale Gipfel für Pressefreiheit sind Schritte in diese Richtung. Letztlich hängt viel von uns Bürgern selbst ab: Demokratie lebt von engagierten Menschen. Zivilgesellschaftliche Organisationen, Klimaaktivistinnen, Menschenrechtsinitiativen – sie alle spielen eine Rolle dabei, Druck zu erzeugen und positive Visionen anzubieten. Die weltweite Jugendbewegung Fridays for Future etwa hat das Thema Klimakrise in kurzer Zeit auf die Agenden gehoben und Millionen mobilisiert. Solche Bewegungen zeigen, dass öffentliche Meinung und Protest politisches Handeln beschleunigen können. Aufgabe der Politik ist es, diese Energie konstruktiv aufzugreifen und in konkrete Politik umzusetzen, anstatt sie zu ignorieren oder zu unterdrücken.

Natürlich gibt es kein Patentrezept und die genannten Lösungsansätze müssen an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. Aber sie geben eine Richtung vor: Wir müssen den Menschen das Gefühl zurückgeben, dass Fortschritt für alle möglich ist, ohne den Planeten zu ruinieren. Das erfordert Mut zu Veränderungen, die früher als „unrealistisch“ galten. Doch vieles, was gestern utopisch schien, kann heute Realität werden – wenn genug politischer Wille und gesellschaftlicher Druck dahinterstehen. Die Ressourcen – ob finanziell, technologisch oder menschlich – hat die Weltgemeinschaft im Grunde zur Verfügung. Sie müssen nur gerecht verteilt und klug eingesetzt werden. Dann ließe sich das Bild vom stürmischen Schiff vielleicht ins Positive verkehren: Aus dem führungslosen Schlingern in rauer See würde eine gemeinsame Reise Richtung sicherer Hafen, bei der alle an Bord Gehör finden.

Fazit: Die Zeit drängt

Unsere Gesellschaft steht an einem historischen Scheideweg. Die kommenden Jahre werden entscheiden, ob wir die Kurve zu einer nachhaltigen und gerechten Zukunft kriegen – oder ob wir in eine düstere Ära von Klimachaos, Konflikten und Freiheitsverlust schlittern. Eines ist klar: Nichtstun begünstigt die schlimmstmögliche Entwicklung. Wenn die Klimakatastrophe ungebremst voranschreitet und immer mehr Menschen in existenzielle Not geraten, werden autoritäre und faschistische Ideologien weiter an Zulauf gewinnen. Schon jetzt bedienen sich rechtsextreme Bewegungen einer apokalyptischen Rhetorik und schüren Ängste, ohne irgendwelche echten Lösungen anzubieten (www.theguardian.com). Sie locken mit vermeintlich einfachen Antworten – oft einer verklärten Rückkehr zu vergangenen Zuständen – und geben Minderheiten oder Schwächeren die Schuld an Missständen, um von den wahren Problemen abzulenken. Doch diese Kräfte haben keinen glaubwürdigen Plan für eine bessere Zukunft, im Gegenteil: Viele von ihnen leugnen die Klimakrise oder wollen sich egoistisch in Festungen verschanzen und „die Anderen“ ihrem Schicksal überlassen. Ein solches Szenario eines globalen Rechtsrucks inmitten ökologischer Katastrophen wäre verheerend – es wäre geprägt von Gewalt, Ausgrenzung und dem Verlust menschlicher Solidarität und Empathie.

Noch aber ist dieses Szenario nicht unausweichlich. Wir haben die Chance, den beschriebenen Kurswechsel einzuleiten, JETZT. Die Dringlichkeit könnte kaum größer sein: „Die Alarmglocken schrillen auf allen Ebenen“, warnt der UN-Generalsekretär eindringlich (wmo.int). Und tatsächlich – während demokratische Werte erodieren und die Erde sich erhitzt, läuft uns die Zeit davon. Doch die Krise birgt auch die Möglichkeit eines erwachenden Bewusstseins. Immer mehr Menschen erkennen, dass die alten Rezepte nicht mehr funktionieren und dass neue Wege beschritten werden müssen. Es entsteht weltweit eine wichtige Debatte darüber, wie wir Wirtschaft und Gesellschaft umgestalten können, um sowohl die ökologische als auch die demokratische Substanz zu retten. Diese Diskussion ist kein akademischer Luxus, sondern bitter notwendig für unsere Zukunft. Denn wie die Zahlen zeigen, sind echte Demokratien bereits jetzt in der Minderheit – und mit jeder weiteren Krise wächst das Risiko, dass noch mehr Länder in autoritäre Muster verfallen. Der Kampf gegen die Klimakrise und der Einsatz für Demokratie sind deshalb zwei Seiten derselben Medaille. Nur in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft können die schwierigen Entscheidungen getroffen und mitgetragen werden, die zur Bewältigung der Klimafrage nötig sind. Und umgekehrt: Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen, wird die Demokratie stärken, weil sie den Menschen Sicherheit und Perspektive geben und so den Sirenengesängen der Extremisten den Nährboden entziehen.

Die kommenden Krisen – seien es Klimaschocks, Migrationswellen, wirtschaftliche Turbulenzen oder neue Pandemien – werden eine Belastungsprobe für die Menschheit. Doch sie können uns auch enger zusammenschweißen, wenn wir uns auf unsere gemeinsamen Werte besinnen. In der Vergangenheit hat die Welt schon große Umbrüche gemeistert, wenn genug politischer Wille da war: Die internationale Zusammenarbeit konnte die Ozonschicht retten, extreme Armut wurde innerhalb weniger Jahrzehnte erheblich reduziert, und viele vormals diktatorische Staaten sind demokratisch geworden. Solche Errungenschaften geben Hoffnung, dass Wandel möglich ist. Jetzt geht es darum, diese Hoffnung mit entschlossenem Handeln zu untermauern. Jeder von uns kann dazu beitragen – durch Engagement im Kleinen, durch kritisches Nachfragen, durch solidarisches Verhalten. Aber vor allem braucht es mutige Entscheidungen auf höchster Ebene. Es geht letztlich um nichts weniger als die Frage: In welcher Welt wollen wir und unsere Kinder leben? Wählen wir den Weg der Kooperation, der Empathie und der Vernunft, können wir die anstehenden Stürme gemeinsam überstehen. Versäumen wir es, jetzt Kurs zu halten, drohen uns hingegen Zustände, in denen demokratische Freiheiten und die Stabilität unseres Planeten untergehen. Die Weichen werden HEUTE gestellt. Es liegt an uns allen, dafür zu sorgen, dass das Schiff nicht kentert, sondern sicher einen neuen Kurs einschlägt – hin zu einer Zukunft, in der Menschlichkeit, Demokratie und eine intakte Umwelt keine Gegensätze mehr sind, sondern sich gegenseitig stützen. Die Uhr tickt, aber noch haben wir das Ruder in der Hand. Nutzen wir diese Chance – für uns und die kommenden Generationen.

Ich möchte so gerne Alternativen diskutieren! „Beyond Kapitalismus“ weiterlesen

Quellen:

AR6 Synthesis Report: Summary for Policymakers Headline Statements
https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/resources/spm-headline-statements/

Richest 1% bag nearly twice as much wealth as the rest of the world put together over the past two years
https://www.oxfam.org.tw/en/news-and-publication/davos-2023

Autocracies outnumber democracies for the first time in 20 years: V-Dem
https://www.democracywithoutborders.org/36317/autocracies-outnumber-democracies-for-the-first-time-in-20-years-v-dem/

Climate change indicators reached record levels in 2023: WMO
https://wmo.int/news/media-centre/climate-change-indicators-reached-record-levels-2023-wmo

Democracies in Decline | Freedom House
https://freedomhouse.org/issues/democracies-decline

Gilets jaunes aren't anti-green. They're… | Green Economy Coalition
https://www.greeneconomycoalition.org/news-and-resources/green-hearts-and-gilets-jaunes

11 countries leading the charge on renewable energy
https://www.climatecouncil.org.au/11-countries-leading-the-charge-on-renewable-energy/

These countries are leading the way to 100% renewable electricity
https://theprogressplaybook.com/2024/10/14/these-countries-are-leading-the-way-to-100-renewable-electricity/

Just 100 companies responsible for 71% of global emissions, study says | Guardian sustainable business | The Guardian
https://www.theguardian.com/sustainable-business/2017/jul/10/100-fossil-fuel-companies-investors-responsible-71-globalemissions- cdp-study-climate-change

Exposed: 5,000+ Fossil Fuel Lobbyists Got Access to U.N. Climate
https://www.democracynow.org/2025/11/10/nina_lakhani

America's Polanyi moment | The Week
https://theweek.com/articles/745854/americas-polanyi-moment

The rise of end times fascism | Far right (US) | The Guardian
https://www.theguardian.com/us-news/ng-interactive/2025/apr/13/end-times-fascism-far-right-trump-musk